Evangelisch-Augsburgische St. Johannes-Gemeinde zu Graudenz (Grudządz)

Die Anfänge des Protestantismus in Graudenz (Grudziądz) gehen auf das Jahr 1524 zurück, als der Bischof von Pomesanien, Erhard von Queiss aus Marienwerder (Kwidzyn), der gerade auf Einladung des Starosten Jan Sokolowski dort verweilte, in der Pfarrkirche die erste evangelische Predigt hielt. In den Jahren 1552 bis 1553 predigte – wahrscheinlich in der Heiliger-Geist-Kirche – ein geschätzter Königsberger Theologe, Dr. Joachim Mörlin, der später als Seelsorger in Braunschweig, und nach der Rückkehr in das Herzogtum Preußen als Bischof von Samland tätig war. Im Jahre 1563 tritt die Stadt offiziell zum Luthertum über und ernannte Eberhard Sperber zum Pastor, was mit einem Privileg vom König Sigismund Augustus aus dem Jahre 1569 bestätigt wurde. Drei städtische Kirchen wurden damals evangelisch, doch bereits seit 1540 gab es eine evangelische Schule, und im Jahre 1568 berief man einen Diakon für Polen (die Mehrheit der Bewohner von Graudenz war damals deutscher Abstammung). Zu Zeiten von König Sigismund III. Vasa übergingen die Kirchen im Jahre 1598, als Folge der Gegenreformationsbewegung, in die katholischen Hände, womit ein beinahe zweihundertjähriger Kampf der Stadtbewohner um das Recht der Religionsausübung gemäß dem königlichen Privileg begann. Die Gottesdienste wurden hinter der Stadtmauer in St. Georg Friedhofskapelle, im Schloss, im Speicher, und endlich im Rathaus gefeiert, doch auch da stieß man auf Schikanen und Klagen seitens des katholischen Priesters und der Jesuiten. Es hieß u. a., dass die Predigten auf polnisch gehalten werden, anstatt ausschließlich auf deutsch. 

Abb.: Die im Willfahre Jesuitenkolleg gedruckte Flugschrift verspottet die deutschen lutherischen Prediger als ungebildet und diebisch, auffällig ist auch die deutliche Kennzeichnung der Lutheraner als „sächsisch“ (= deutsch) und die Ausgrenzung als Fremde.

Während der schwedischen Besatzung in den Jahren 1656 bis 1659 wurde den Protestanten die vom katholischen Priester verlassene Pfarrkirche zugesprochen. Nach dem Krieg überging die Pfarrkirche zu ihren ursprünglichen Besitzern, die Evangelischen begannen daher mit dem Wiederaufbau des Rathauses, das während der Wiedereroberung der Stadt durch das polnische Heer niedergebrannt wurde. Durch großzügige Gaben und Legate der lokalen Gemeinde und der Glaubensbrüder aus Thorn (Toruń) und Danzig (Gdańsk) konnte damals das Bethaus im Barock-still ausgestattet werden.

Unter den Geistlichen und Lehrern fehlte es nicht an bekannten und geschätzten Persönlichkeiten, zu denen u. a. gehörten: in den Jahren 1588 bis 1599 ein hervorragender, obgleich kontroverser Vertreter der Lutherischer Orthodoxie und Betreuer des Schulwesens Benedikt Morgenstern Johann Borawski (Barawski. Zbarawski, 1618-1624) – ein in Latein schaffender Dichter und höfischer Prediger der Königsschwester Anna Vasa in ihrer Residenz in Strasburg (Brodnica), Severin Rosentreter (1632-1665) – Teilnehmer des berühmten Colloquium Charitativum in Thorn im Jahre 1645, Otto Matthesius (1656-1659) -Absolvent der Jesuitenschulen in Wilna und der Universitäten in Königsberg und Rostock Johann Herbinius (1677-1679) – ein geschätzter Theologe, Pädagoge und Philanthrop Johann Moneta (1692-1696) -Verfasser eines Lehrbuches für polnische Grammatik und Jacob Schmidt – Herausgeber einer revidierten Auflage der polnischen Danziger Bibel im dem 18. Jahrhundert.
Nachdem Graudenz infolge der ersten Teilung Polens im Jahre 1772 von Preußen besetzt worden war, wurde im Jahre 1785 eine kleine Kirche auf dem Markt eingeweiht, in der noch einige Zeit Gottesdienste auf polnisch abgehalten wurden. Der Bau wurde größtenteils vom Friedrich II. finanziert. In den Jahren 1896 bis 1898 wurde die zu kleine Friedrichskirche durch eine große Pfarrkirche in der heutigen Mickiewicza-Str. ersetzt (zurzeit römischkatholisch). Die Mehrheit der Einwohner von Graudenz war evangelisch, in ihrem Besitz war ebenfalls eine große Garnisonkirche (erbaut in den Jahren 1897 bis 1900, zerstört während des 2. Weltkrieges). Geplant war auch Errichtung einer dritten Kirche. Ein modernes Gemeindehaus und die Städtische Mission baten große Säle, darüber hinaus gab es einige Wohltätigkeitsanstallen und Friedhöfe. Die Protestanten in Graudenz waren aber in dieser Zeit fast ausnahmslos deutsch, an die polnischen Traditionen dieser Konfession erinnerte sich kaum noch jemand.

Die Rückkehr der Stadt zu Polen im Jahre 1920 änderte gründlich diesen Zustand. Der größte Teil der deutschen Bevölkerung ist ausgewandert und die Polen und Katholiken wurden schnell zur Mehrheit in der Stadt. Unter der aus ganz Polen nach Graudenz eingewanderten Bevölkerung befanden sich auch polnische Mitglieder der Evangelisch – Augsburgischen (Lutherischen) Kirche, mit dem Vorstand in Warschau. Am 31. Mai 1923 wurde in der deutschen evangelischen linierten Kirche von einem Militärgeistlichen, Pastor Józef Mamica aus Posen (Poznań) der erste militärische Gottesdienst abgehalten. Für die weiteren Gottesdienste gab der dortige Gemeinderat keine Erlaubnis, als Begründung diente die Anwesenheit der Zivilpersonen. Deswegen fanden spätere Gottesdienste unregelmäßig in einem Offizierskasino statt. Die Bemühungen um die Ausgestaltung eines organisatorischen Rahmens für die polnischen Evangelischen unternahm im Oktober 1930 Pastor Jerzy Kahane aus Bromberg (Bydgoszcz) und konnte bereits am 7. April 1931 den ersten zivilen Gottesdienst abhalten. Dank freundlicher Einstellung vom Pfarrer Reinhold Dieball fanden bis zum Jahre 1939 in der linierten Kirche in der Mickiewicza-Str. die Gottesdienste statt. Die entsprechenden Informationen wurden sogar während der deutschsprachigen Gottesdienste weitergeleitet. Nach dem Gottesdienst am 24. Mai 1931 wurde ein Kirchenrat berufen, dessen Vorsitz vom Kaufmann Mikotaj Bruno Ernst übernommen wurde. Bereits im nächsten Jahr fand die erste Konfirmation statt (weitere Konfirmationen: 1934, 1937, 1938), überdies agierten in der Kirchengemeinde ein Chor und ein Frauenverein mit seiner Leiterin, Marta Lipowska. In den Jahren 1932 bis 1933 war Pastor Waldemar Preiss aus Bromberg als Verwalter der Gemeinde tätig, von 1933 bis 1935 übernahm Pastor Ryszard Danielczyk wohnhaft zu Graudenz die Stelle, was eine Blütezeit für die Gemeinde bedeutete. Herausgegeben wurde das Blatt „Przegląd Ewangelicki” („Evangelische Rundschau”), das nach einem Jahr nach Bromberg verlegt wurde, man veranstaltete Ausflüge und Treffen. Die Gottesdienste fanden alle zwei Wochen statt, Pastor Danielczyk war auch in der Gemeinde Dirschau (Tczew) und vereinzelt in Preussisch Stargard (Starogard Gdański) und Briesen (Wqbrzezno) tätig, wobei da auch die evangelischen Unionskirchen zur Verfügung standen. Nachdem Pastor Danielczyk nach Schlesien ausgereist war, verwaltete wieder Pastor Preiss die Kirchengemeinde von 1937 bis 1959 übernahm diese Funktion Pastor Ryszard Trenkler aus Thorn, mit einer Pause während des 2. Weltkriegs.
Der Hitlers Überfall im Jahre 1939 vernichtete komplett die Errungenschaften der polnischen Gemeinde, die ihre Tätigkeit in der Nachkriegszeit erst im Jahre 1946 wieder aufgenommen hat. Am Anfang fanden die Gottesdienste in einer Methodistenkapelle statt, doch bereits am 3. November hielt Pastor Trenkler den ersten Gottesdienst in der restaurierten ehemaligen katholisch-apostolischen Kapelle aus dem Jahre 1916 in der Szkolna-Str. ab. Die sehr malerisch am Altstadtrand, bei den Wehrmauern gelegene Kapelle wurde seitdem zu St. Johanneskirche. Die Arbeiten an der Zusammenstellung der Ausstattung aus den umliegenden und bereits geschlossenen evangelischen Kirchen dauerten zwei Jahre. Seitdem wurde die St. Johanneskirche mehrmals renoviert, auch die Friedhofsgebäude wurden erneuert und die restlichen historischen Grabsteine abgesichert. In der Nachkriegszeit zählte die Kirchengemeinde periodisch einige hundert Mitglieder, überwiegend aus der ehemaligen linierten Kirche, die jedoch im Laufe der Zeit ausgewandert sind. Einige Male fanden Konfirmationen statt. Heute, so wie vor dem 2. Weltkrieg, zählt die Parochie ein paar Dutzend Mitglieder, die in der Umgebung zerstreut sind.

Außer dem Senior Ryszard Trenkler waren als Seelsorger nach 1945 in der Gemeinde tätig: Pastor Bogustaw Wittenberg aus Rypin, danach folgte wieder Pastor Waldemar Preiss aus Bromberg, Pastor Gustaw Burchart aus Thorn und Senior Edward Dietz aus Zoppot (Sopot). Seit 1980 verwaltet die Gemeinde Pfarrer Jerzy Molin aus Thorn. Gottesdienste finden jeden vierten Sonntag des Monats um 9:30 statt.

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